U-Bahnen, Meerschweinchen und simple Komplexität: Die Geschichte von DUNGEON ENCOUNTERS

Wir sprechen mit Director Hiroyuki Ito und Producer Hiroaki Kato über die Entwicklung eines einzigartigen Rollenspiels.
Von Duncan Heaney
Schlagwörter: DUNGEON ENCOUNTERS

DUNGEON ENCOUNTERS ist ein echtes Original.

Der minimalistische Dungeon-Crawler reduziert das Rollenspiel aufs Wesentliche - und dabei entwickelt er eine ganz eigene Magie. Vom intensiven strategischen Kampf bis zu den kniffligen Erkundungsaufgaben handelt es sich hier um ein Spiel, das Spieler auf all seinen 99 Ebenen auf eine Art und Weise antreibt wie kaum ein anderes.

Das Ergebnis ist ein höchst unterhaltsames RPG, das aufregend, dicht und unglaublich fesselnd ist - ihr werdet diesen Drang spüren, immer nur noch eine weitere Ebene anzugehen.

Langjährige Square-Enix-Fans überrascht die Qualität des Spiels wohl kaum. Chef der Entwicklung ist Hiroyuki Ito, der auch schon als Director von FINAL FANTASY VI, FINAL FANTASY IX and FINAL FANTASY XII aufgetreten ist. Und produziert wurde es von Hiroaki Kato, der bereits an FINAL FANTASY XII THE ZODIAC AGE und FINAL FANTASY TACTICS A2 Grimore of the Rift in ähnlicher Rolle beteiligt war.

Weil DUNGEON ENCOUNTERS ein so einzigartiges Spiel ist, waren wir natürlich begeistert davon, dass wir mit diesen hochtalentierten Entwicklern über ihre Vision für das Spiel sprechen konnten - und darüber, wie sich letztendlich alles zusammenfügte.

DUNGEON ENCOUNTERS Trailer

Untergrund-Ideen

Inspirationen können von überall herkommen, doch die Idee für DUNGEON ENCOUNTERS hat einen sehr unerwarteten Ursprung: Den öffentlichen Nahverkehr.

"Das Konzept für das Spiel entstand, als wir auf eine 3D-Karte des Tokioter U-Bahnnetzes guckten", sagt Ito-san.

"Die U-Bahn in Tokio hat viele verschiedene Linien, die auf eine sehr komplizierte Weise miteinander verknüpft sind. Aber jede Linie hat ihren ganz eigenen Charakter - manche Linien sind in Wirklichkeit recht kurz, und andere legen sich beispielsweise um die ganze Stadt herum. Man kann auch zwischen den Linien wechseln, um zu versuchen, sie alle mal zu fahren.

Das Dungeon, das wir für DUNGEON ENCOUNTERS schufen, sieht auf den ersten Blick auch kompliziert aus und als ob es zufällig ineinander verschlungen wäre. Aber jede Ebene besitzt ihre eigenen, sie definierenden Charakteristiken. Man muss jedes Mal sorgfältig überlegen, wie man voranschreitet. Und wir dachten, dass so eine Umgebung doch eine tolle Grundlage für ein interessantes Spiel sein könnte."

DUNGEON ENCOUNTERS Screenshot

Gitter Gedanken

Das Team wollte diese komplexen Layouts auf eine Weise präsentieren, die von den Spieler:innen ganz simpel zu verstehen sind. Und es wollte bei der Dungeon-Durchquerung Herausforderungen stellen, welche die Leute dazu bringen sollten, wirklich über ihren Standort nachzudenken. Das Gitter-basierte Bewegungssystem war perfekt dafür.

"Den Spielbereich als simples 2D-Gitter zu inszenieren, reduziert die Menge an Informationen, die man als Spieler:in verarbeiten muss", erläutert Kato-san. "Das macht es einfacher, die aktuelle Situation zu begreifen und die eigene Vorstellungskraft walten zu lassen."

Das Gitter-Format erlaubte den Entwicklern zudem, die Spieler:innen vor Probleme zu stellen, wie man ihnen bislang noch nie einem Spiel begegnet ist. Individuelle Gitterkoordinaten sind ein wichtiges Element des Spiels, und sie erscheinen immer oben links auf dem Bildschirm.

"Man braucht seine Fantasie, um Hinweise aus den Gitterkoordinaten und der Form der Räume zu ziehen und den besten Weg zum Weiterkommen auszutüfteln", sagt Kato-san. "Das führt zu einer einzigartigen und unterhaltsamen Herausforderung.

Es kommt einem vor, als ob es zuvor schon mal jemand gemacht hätte. Tatsächlich ist das aber was komplett Neues!"

Dungeon Encounters Screenshot "Excalibur"

ATB ist zurück!

Doch nicht jeder Einfall ist komplett neu - der Kampf ist inspiriert vom Active Time Battle-System (ATB) der FINAL FANTASY-Serie, seinerzeit entwickelt für FINAL FANTASY IV und von niemand anderem als Ito-san höchstpersönlich.

Ihr wisst wahrscheinlich schon, wie es funktioniert: Statt dass die Kämpfer geduldig auf ihren Zug warten, besitzt jeder eine Leiste, die sich im Lauf der Zeit füllt. Ist das geschehen, lässt sich eine Aktion ausführen, ganz unabhängig von einer Zugreihenfolge.

"Das ATB-System in FINAL FANTASY IV entstand, weil wir dachten, dass Faktoren, die auf verstreichender Zeit basieren, die Kämpfe realistischer machen würden", sagt Ito-san. "In einem traditionellen RPG kann es beispielsweise vorkommen, dass eine Gruppe von Kreaturen - etwa Zyklopen - abwarten, bis wir aus einem Nickerchen erwachen. In der Realität wären wir da sicher schon längst tot!"

Dungeon Encounters: Screenshot "Fire Breath"

Ito-san beschloss, in DUNGEON ENCOUNTERS zu diesem von ihm erschaffenen System zurückzukehren, aber nicht ohne ein paar Verfeinerungen, um es strategisch noch befriedigender zu machen.

Im Spiel besitzen Gegner und Helden zwei Arten von Verteidigung - physische und magische. Angriffe und Fähigkeiten zielen auf verschiedene Verteidigungen - nur, wenn deren Werte auf null sind, könnt ihr damit anfangen, die LP des Ziels zu reduzieren.

Dieses System entstand aus dem Verlangen heraus, etwas anders zu machen, als es die traditionelle Rollenspiel-Formel vorgibt. "Ich wollte die Art von Gameplay neu erfinden, bei der man auf die Leisten der Gegner blickt", sagt Ito-san.

"Ich habe nach einem Feature gesucht, abseits typischer Elementbeziehungen wie Feuer, Eis, Erde und Luft, das den Figuren unterschiedliche Charakteristiken gibt."

Kato-san fügt hinzu: "Nur zwei getrennte Elemente im Auge behalten zu müssen, verringert die Menge an zu verarbeitenden Informationen. Und es erlaubt einem, sich darauf zu konzentrieren, wie man das Dungeon an sich angehen soll.

Wir haben die zu bekämpfenden Gegner und die Verteidigungsparameter sorgfältig kombiniert, um sicherzustellen, dass die Kämpfe nicht fade werden. Das war harte Entwicklungsarbeit - alles so auszubalancieren, dass genügend Varianz vorhanden ist und das Spiel zwar einfach ist, aber nicht öde."

Ito-san fasst es prägnant zusammen: "Ich dachte, dass es leicht wäre, das Spiel zu machen, wenn es weniger Attribute gibt. Ich habe mich getäuscht."

Dungeon Encounters: Screenshot

Der Fokus auf Unkompliziertheit führte dazu, dass das Kampfsystem in DUNGEON ENCOUNTERS extrem leicht zu verstehen ist. Und er sorgte auch dafür, dass das Entwicklerteam den Kämpfen eine taktische Tiefe verleihen konnte, wie sie in vielen anderen Rollenspielen nicht zu finden ist.

"Wenn man in einem Kampf auf Gegner trifft, dann muss man sich erst ihre Verteidigungswerte und ihre Informationen ansehen", sagt Kato-san. "Mit diesen lässt sich dann herausarbeiten, welche Angriffe man am besten einsetzen und in welcher Reihenfolge man die Gegner besiegen sollte.

Die 'Immer auf denselben Knopf hauen, um sich mit Gewalt den Weg zu bahnen'-Methode, wie man sie häufig in RPGs findet, funktioniert hier nicht. Das gibt den Kämpfen ein Gefühl von Nervenkitzel und Gefahr, weil man herausfinden muss, wie man verhindern kann, dass alle Charaktere zur selben Zeit sterben."

Es war natürlich nicht leicht, die Kämpfe durch das ganze Spiel hindurch strategisch herausfordernd zu machen - Ito-san und das Team haben sogar unglaublich hart an dieser Sache gearbeitet.

Dungeon Encounters: Screenshot

Beim Balancing greift Ito-san auf Excel zurück

Wie balanciert man all die verschiedenen Werte eines Kampfsystems aus und stellt sicher, dass jede einzelne Begegnung Spaß macht? Ito-san erklärt kurz und bündig: "Wir haben eine Tabelle verwendet."

Wenn Ito-san das einfach klingen lässt, dann ist er nur bescheiden - laut Kato-san ist es alles andere als das.

"Ito-san trug alle Formeln, die mit dem Kampf zusammenhingen, in eine Excel-Datei ein und zog diese dann heran, als er die Gesamtbalance während des Spiels in seinem Kopf anpasste. Diese Daten wurden dann im Spiel umgesetzt. Wir führten auch wiederholt Testspiele durch - die gesamte Entwicklung hindurch haben wir das Geschehen auf diese Weise balanciert.

Die Menge an Daten, die in Dungeon Encounters eine Rolle spielen, war vergleichbar mit der in den nummerierten FINAL FANTASY-Titeln, an denen Herr Ito beteiligt war. Und er selbst hatte die gesamte Kontrolle über diese Daten. Er ist wirklich ein perfekter, meisterhafter Handwerker!"

Dungeon Encounters: Screenshot "WaterWall"

Warum nicht Meerschweinchen?

Eine besonders witzige Eigenart des Kampfes ist die Fähigkeit, Charaktere in Meerschweinchen zu verwandeln. Das war etwas, was das Team unbedingt im Spiel haben wollte.

Kato-san erklärt: "Wir wollten eine Transformation im Spiel haben - etwas, das die Rolle des 'Kröten'-Zaubers in der FINAL FANTASY-Serie übernimmt."

"Wir dachten, es wäre ein netter Akzent, etwas Niedliches wie die Schweine in FINAL FANTASY TACTICS im Spiel zu haben", fügt Ito-san hinzu. "Also habe ich mich für Meerschweinchen entschieden."

Charakter-Akademie

Einer der einzigartigen Aspekte von DUNGEON ENCOUNTERS ist die große Vielfalt an Charakteren, die man seiner Truppe hinzufügen kann. Wie der Rest des Spiels sind auch diese Figuren und ihre Persönlichkeiten einfach gehalten.

"Eines der zentralen Entwicklungskonzepte für DUNGEON ENCOUNTERS war, dass es geradlinig und leicht verständlich sein sollte", sagt Kato-san. "Aufgrund dieser Philosophie haben wir den Charakter-Hintergründen eine recht orthodoxe, klassische Fantasy-Basis verpasst.

Was die Auswahl allerdings besonders macht, ist die große Vielfalt verschiedener Charaktertypen, einschließlich solchen, die von unserer Welt ins Dungeon gebracht wurden - ein Roboter beispielsweise und sogar eine riesige Katze!

Bei eurem Weg durchs Spiel entdeckt ihr Ausrüstung, die nur von bestimmten Charakteren verwendet werden kann. Das soll euch dazu ermuntern, alle Arten verschiedener Teams auszuprobieren und mit eurer eigenen Heldentruppe eine ganz eigene Story zu schmieden."

Dungeon Encounters: Screenshot

Auch wenn es Helden in vielen verschiedenen Formen gibt, haben sie doch eine Sache gemeinsam: die unglaublichen Illustrationen von Ryoma Ito (FINAL FANTASY TACTICS ADVANCE, FINAL FANTASY XII REVENANT WINGS, Heroes of Mana).

Die Vielfalt der verfügbaren Charaktere ist ein Beleg für die Fantasie des Künstlers. Kato-san erklärt:

"Sobald sich die Funktion eines Charakters innerhalb des Spieldesigns bestätigt hatte, schrieb Hiroyuki Ito ein paar Zeilen Hintergrund für diese Figur. Diese gab er dann an Ryoma Ito, der die großartige Arbeit leistete, die Charaktere von diesem Punkt weg auszugestalten."

Das Ergebnis ist ein Spiel, in dem jeder Charakter gleich wichtig ist. Oder wie Hiroyuki Ito es ausdrückt: "Man kann sagen, dass all diese Charaktere die Hauptfigur sind. Ich will, dass Spieler:innen all die verwaisten Reisenden im Dungeon entdecken und viele verschiedene Gruppen ausprobieren, um ihre eigenen Geschichten zu spinnen."

Dungeon Encounters: Screenshot

Musik Maestro

Das finale Element, das DUNGEON ENCOUNTERS komplett macht, ist die großartige Musik. Unter der Leitung des legendären Nobuo Uematsu werden klassische Themen auf eindrucksvolle Weise neu interpretiert. Aber wie stieß Uematsu-san überhaupt zu dem Projekt?

"Vor etwa 30 Jahren sprach ich mit Uematsu-san über neue Arten, wie man Musik für Spiele machen könnte", sagt Ito-san. "Wir dachten, dass wir etwas Interessantes und Einmaliges schaffen könnten, wenn wir die Arrangements berühmter klassischer Musikstücke nutzen würden. Allerdings ist nichts aus dieser Idee geworden.

Allerdings wollte ich seither berühmte klassische Stücke für eine neue Marke nutzen, und als wir mit der Arbeit an DUNGEON ENCOUNTERS begannen, ging ich direkt zu Herrn Uematsu, um ihn zu bitten, die Musik dafür zu machen.

Leider hatte er unsere damalige Konversation komplett vergessen! Allerdings erinnerte er sich, dass wir uns mal unterhalten hatten, und ab da ging alles ganz schnell und er kam bei diesem Projekt mit an Bord."


Wo DUNGEON ENCOUNTERS nun veröffentlicht ist, freut sich das Team sehr, dass die Spieler:innen damit anfangen, die vielen Geheimnisse dieses Spiels aufzudecken.

"Ich hoffe, dass die Spieler:innen, die RPG-Mechaniken und -Systeme zu schätzen wissen, unser Spiel mal ausprobieren", sagt Kato-san.

"Habt Spaß dabei, euren Weg durch die Kämpfe auszutüfteln und die Spannung und Aufregung zu erleben, die euch in einem gefährlichen Dungeon erwarten!"

Ito-san hat das letzte Wort:

“Danke, dass eure Wahl auf mein Spiel fällt. Ich wünsche euch viel Glück beim Spielen!"

DUNGEON ENCOUNTERS ist jetzt für Nintendo Switch, PS4 und Steam erhältlich.

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