Der Bösewicht im Videogame

Wie erschafftst du einen Bösewicht, den jeder Spieler leidenschaftlich hasst? Kreative Köpfe hinter Tokyo Dark und Forgotten Anne gewähren einen Einblick…
Von Duncan Heaney

Im Verlaufe der SCHURKEN-WOCHE haben wir bereits geschaut, wie Spiele, UNS in einen Übeltäter verwandeln. Nun widmen wir uns dem nächsten Punkt: Wie erschafft man den perfekten Schurken für ein Videospiel?

Folgende Fragen gilt es zu klären: Was macht eigentlich den gelungenen Bösewicht aus? Was ist das gewisse Etwas des klassischen Videospiel Schurken, das ihn herausstechen lässt? Was kennzeichnet den Antagonisten, den jeder bereitwillig hasst?

Innerhalb des Square Enix Spiele Portfolios findet sich eine Menge Material, das diesbezüglich ausgewertet werden kann. Hier und da ein Chat mit Entwicklern und schon kommen wir der Sache näher. Wir haben einige Denkanstöße für euch zusammengetragen:


Warnung: Enthält Spoiler für FINAL FANTASY III, FINAL FANTASY VI, FINAL FANTASY VII, Forgotten Anne, Sleeping Dogs und Life is Strange.


Die Motivation spielt eine große Rolle

Im Gespräch mit Autoren und Entwicklern wird eines schnell deutlich: Es reicht nicht, einen Bösen nur etwas Böses tun zu lassen. Aus dem Spiel muss hervorgehen, warum er so handelt.

Jon Williams, Creative Director bei Cherrymochi - das Studio, das für das Adventure Game Tokyo Dark) verantwortlich zeichnet - erklärt das so:

“Das wichtigste Element beim Entwurf eines dunklen Charakters ist für mich seine Motivation. Was bringt den GROSSEN BÖSEN dazu, Böses zu tun? Erst wenn der Antrieb hinter seinen Taten in irgendeiner Form greifbar und verständlich wird, wirkt die Figur authentisch."

Die Meinung wird untermauert durch Ingvi Snædal, Associate Producer bei ThroughLine Games, und Co-Entwickler von Forgotten Anne. Er sagt: “Die gelungensten Schurken werden durch einen nachvollziehbaren Grund zu ihren Taten angetrieben. Dadurch fühlen wir mit ihnen, obwohl wir ihre Handlungen als extrem, böse und unehrenhaft ansehen."

Forgotten Anne bietet das perfekte Beispiel. Der größte Schurke in unserem Abenteuer hat eine persönliche Verbindung zu Anne. Sie ist sich seiner Intention und Motivation zwar bewusst, doch kritisch wird es erst, wenn derjenige beginnt seine Ziele mit grenzwertigen Mitteln zu verfolgen. Wie versucht der Bösewicht seine Zielen zu erreichen, welches Verhalten resultiert daraus. Das macht den Unterschied."

Snædal sagt: “In dem Fall ist das Motiv des Bösewichts ehrenwert und für fast alle in Forgotten Lands nachvollziehbar (die Rückkehr in die echte Welt). Man sympathisiert mit ihm und fühlt mit ihm. Erst, wenn zur Zielerreichung eine gewisse Grenze überschritten wird, kommt eine Seite zum Vorschein, die vom Spieler als unehrenwert empfunden wird.”

Auch die FINAL FANTASY Spiele sind sehr bemüht, diesem Ansatz zu folgen. Nimm zum Beispiel FINAL FANTASY VII. Sephiroths Hintergrundgeschichte ist gespickt mit Lügen, Verrat und Tragödien. Niemand kann ehrlich verwundert sein, wenn Sephiroth den Pfad der Tugend verlässt. Der Spieler weiß sofort, weshalb es so weit kommen konnte. Vielleicht sympathisiert er sogar mit ihm.

Natürlich muss nicht jeder Schurke, dem wir in einem Spiel begegnen eine komplexe, tragische Figur sein. Jon Williams sagt: “Kosmischer Horror braucht keine äußeren Motive, um übelste Geschöpfe hervorzubringen! Jedoch zeigt sich, dass ein Schurke besser im Gedächtnis bleibt, wenn sein Antrieb erklär- und nachvollziehbar ist.”


Sie motivieren den Spieler durch den Einsatz von Gefühlen

Herausragende Schurken haben häufig eine persönliche Beziehung zum Helden. So episch deine Story auch sein mag, wenn du berührende Konflikte erzeugen willst, musst du den Protagonisten emotional involvieren.

Augenscheinliche Beispiele dafür sind Videospiele, in denen der Böse die Familie des Helden umbringt oder geliebte Familienmitglieder entführt. Egal, wie häufig man solch einer Konstellation schon begegnet ist, sie funktioniert einfach.

Ein dunkler Charakter, der sich in einer emotionalen Extremsituation wiederfand, ist Wei Shen in Sleeping Dogs. Während des Spiels ist der Held zwischen zwei Welten hin- und hergerissen: Auf der einen Seite die Familie der Triaden, auf der anderen Seite seine ehrenhaften Verpflichtungen im Polizeidienst.

Es ist eine Herausforderung für ihn, die richtige Balance zu finden. Doch auch, wenn er tiefer und tiefer in die Unterwelt gezogen wird, Wei - und somit auch wir als Spieler - bleiben stets auch Recht und Ordnung verpflichtet.

Wenn also Wei, der physisch und emotional durch die Hölle geht, durch seine Vorgesetzten im Polizeidienst sabotiert und im Stich gelassen wird, ist dies ein unverkennbar heftiger Verrat, der an ihm verübt wird. Das verändert den Blick auf Wei. Sobald eine solche Geschichte einen persönlichen Einschlag bekommt, bleibt der Antagonist besonders im Gedächtnis des Spielers haften.

Der Übeltäter verleiht dem Helden ein Gesicht

Williams Standpunkt lässt sich noch untermauern: Ein starker Schurke hilft, das Bild des Helden zu schärfen. William erklärt: "Ein Bösewicht sollte den Helden (und somit den Spieler) in eine neues Licht rücken. Wie man auf die Schwierigkeiten, die durch den Antagonisten entstehen, reagiert, beeinflusst die Charakterwahrnehmung bzw. -entwicklung des Helden.”

Diese Philosophie ist deutlich erkennbar in Cherrymochis Tokyo Dark, in dem sich die Art und Weise, wie der Spieler sich den Herausforderungen stellt, einen massiven Einfluss auf die Persönlichkeit und Geisteszustand des Protagonisten Ita haben.

Ein weiteres Beispiel findet sich in Kefka, einem bekannten Charakter aus FINAL FANTASY VI. Dieser Charakter wird häufig als der erinnerungswürdigsten Übeltäter aller Videospiele zitiert.

Das mag sonderbar erscheinen, weil er mit den von uns bis hierhin diskutierten Regeln bricht. Er hat keine tiefe, bedeutsame Beziehung zu irgendeinem der anderen Charaktere im Spiel.

Es ist sogar so, dass er keinerlei Kennzeichen eines klassischen Übeltäters offenbart, und das mit voller Absicht. Das führt nämlich dazu, dass der Spieler ihn erst als große Bedrohung wahrnimmt, als es im Grunde bereits zu spät ist.

Erst, als Kefka seine Trümpfe ausspielt, tritt er als bedeutsamer Charakter in Erscheinung und verändert dadurch die Helden auf dramatische Art und Weise: Einige sind traumatisiert, manche werden zu heldenhaftem Verhalten angespornt. Eines jedoch trifft auf alle zu: Sie alle entwickeln sich bedeutsam und nachhaltig für den weiteren Verlauf der Geschichte.


Der Bösewicht muss sichtbar sein

FINAL FANTASY VI und Sleeping Dogs Schurken haben noch etwas gemeinsam: Sie machen deutlich, wie wichtig es ist, dass ein Charakter sichtbar ist. Dazu Snædal:

“Es geht bei der "Sichtbarkeit" eines Charakters nicht nur darum, ob du ihn tatsächlich siehst oder nicht. Es geht darum, ab wann du etwas über ihn erfährst und wieviele Informationen du zu dem Zeitpunkt erhältst."

“Einige sind von Beginn an ganz klar als Bösewicht deklariert, aber ihre wahre Macht und ihr Einfluss offenbaren sich erst viel später. Wenn man als Spieler mehr und mehr über den Schurken erfährt, sich seiner Identität bewusst wird und ihre Pläne zu durchschauen beginnt, ist das extrem befriedigend."

Sie besitzen Macht

Ein letztes Element, das keinem Schurken fehlen darf, ist Macht. Der Böse muss eine wahrhafte Bedrohung für den Spieler darstellen. Doch droht hier die Gefahr - laut Snædal, dass es hier übertreibt.

“Das Machtgefüge muss ausbalanciert sein,” erklärt er. "Wie mächtig darf ein Schurke sein? Ist er zu mächtig, fühlst du dich machtlos und verloren. Es scheint äußerst unwahrscheinlich, dass du einen Sieg erringen wirst. Ist das Böse jedoch zu schwach, und du fühlst dich von Anfang an jederzeit deutlich überlegen, fehlt es der Story an Drama."

Snædal fügt hinzu, dass es dabei nicht um physische Stärke geht:

“Ein gelungener Bösewicht ist nicht zwingend der Charakter, dem du im finalen Bosskampf gegenüberstehst. Er lauert vielleicht im Hintergrund, er zieht die Fäden, und ein Sieg über ihn bedeutet stattdessen, dass man seine Pläne durchkreuzt hat anstelle einer körperlichen Auseinandersetzung.”

Ein Spiel, das als Beweis für die Nachhaltigkeit dieser These herangezogen werden kann, ist definitiv DONTNODs Life is Strange. Die Hauptbösewichte in der ersten Season sind zwar auch physisch stärker als Max, aber das stellt keinesfalls die Bedrohung dar.

Ihr Macht liegt in Status und gesellschaftlicher Stellung. Sie werden respektiert, haben Verbindungen und Glaubwürdigkeit. Wie soll Max, als erst 18-Jahre alte Studentin, da mithalten können?

Niederschlagen

Wenn man sich aber dafür entscheidet, seinen Bösewicht als physisch überlegene Bedrohung zu positionieren, dann sollte man es auch richtig machen. Videospiele sind in dieser Hinsicht einzigartig: Wenn der Held den Schurken trifft, muss der Spieler direkt mit dem Schurken interagieren. Wenn also dein Charakter durch den Schurken bedroht wird, so stellt dies eine unmittelbare Bedrohung für den Spieler selbst dar.

In dem Moment, in dem du dich in FINAL FANTASY III zum ersten Mal der Wolke der Dunkelheit gegenüber siehst, wird schnell deutlich, dass du als Kämpfer des Lichts dem vielarmigen Monster nicht gewachsen sein wirst. Du kannst so hart kämpfen und schlagen, wie du willst. Wenn das Monster einmal peitscht, gehen bei dir die Lichter aus. Natürlich wirst du es wieder und wieder versuchen, aber selbst wenn sie endlich verwunderbar ist, bleibt der Kampf ein Härtetest. So ein Fight bleibt in Erinnerung!


Das waren einige Ansätze zur Erschaffung eines großen Videospiel-Bösewichts. Es gibt nicht DIE EINE Formel, um so eine Gestalt zu erschaffen. Wenn es so einfach wäre, hätte jedes Spiel den einen Superschurken...

Was macht in deinen Augen den perfekten Bösewicht aus? Was unterscheidet ihn von einem x-beliebigen Gegner? Schreibe uns!

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